SonntagsSchnack: Rollenspiele (in punkto Make-up)

Als Frau hat Mann mehr Möglichkeiten. Das behauptet zumindest Hari Nef, Stilikone, Aktivistin und Transgendermodel. Die Amerikanerin, die ein Jahr jünger ist als ich, inspiriert mit nur 24 Jahren Menschen weltweit. Sie ist zu einem Vorbild und dem Gesicht einer Bewegung geworden. In Ted Talks und Interviews klärt sie auf und beseitigt Klischees, wie Trans ist nicht gleich Geschlechtsoperation. Ihre cleveren Gedanken schmücken schon längst nicht mehr nur die Cover von Independenttiteln, wie Wonderland, Frische oder Metal. Jüngst ziert sie die Titelseite der September Ausgabe der Elle UK und bringt so die Botschaft von einer globalen Toleranz auch mal auf konservativere Couchtische und in nicht alternative Handtaschen. Der Wunsch Eyeliner zu tragen, war natürlich nicht der Grund ihrer äußeren Transformation. Dennoch spricht sie mit ihrer Behauptung einen wichtigen Punkt an, der sich mir erst kürzlich wieder bestätigte: Männer sind sehr limitiert in der Entfaltung ihrer Gestalt, wollen sie nicht den schmalen Grad wandern, der gemeinhin weibliche von männlichen Attributen trennt.

Bart ist in Ordnung, wenn nicht sogar ein Muss. Aber nicht ungepflegt, sonst ist der Typ vermutlich Metaller, Informatiker oder irgendeine andere Art von „Sonderling“.

Der Besuch beim Barbor kommt einem Outing als metrosexuell gleich. Der Begriff, der mit David Beckhams ikonischem Haarband in den Zweitausendern populär wurde, gehört schon unter das Label „eher unmännlich“. Kajal finden Mama-Tochter-Gespanne beim Mädelsabend im Kino noch sexy. Allerdings nur an Johnny Depp oder Ian Somerhalder. Würde Papa zu Hause die Tür mit verschmiertem Mascara öffnen, müsste er endgültig in die Garage oder den Geräteschuppen ziehen.

Genauso wie eine kurzhaarige, ungeschminkte Frau keine „Kampflesbe“ ist, ist es ein ebensolches No-Go einen Mann, der Kosmetikprodukte benutzt, als „schwul“ zu bezeichnen. Das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber, wie so viele Dinge, leider nicht. Während eines Fotoshootings vor ein paar Wochen wurde ein befreundeter Make-up Artist von Kolleginnen bedrängt und als „Tunte“ beschimpft. Es stimmt, er hat eine Leidenschaft für Bronzer – besonders für viel davon. Ohne MAC Syrup verlässt er nicht das Haus. Mascara für einen wachen Blick? Pflicht! Die Lashes, die mein Kumpel sich in der Pause ankleben wollte, brachten das Fass der gesellschaftlichen Konventionen der Frauen zum Überlaufen und erschütterten wenig später meinen Glauben in die Branche, in der ich mit angeblich „Kreativen“ zusammenarbeite. Drei gegen einen. Meine Favoriten, bis ich dazwischen ging, waren: „Du siehst eh schon wie eine abnormale Tunte aus“ und „du machst dich hier komplett lächerlich!“ Er war tapfer.

Ich hätte am liebsten losgeheult. Moment, das habe ich ja, später als wir alleine waren. Paradox, wer in diesem Szenario wen trösten musste.

Schwierig gestaltete sich auch die Zusammenstellung eines Teams für meine Examensarbeit. Eine Beautystrecke mit einem männlichen Model ist zu kreativ. Zu ausgefallen. Zu unkonventionell. Die Absagen waren da eindeutig. Die Strecke würde nicht ins Portfolio passen und Kunden würde sie auch nicht ansprechen. Ich wurde schließlich an Leute verwiesen, die Drag Make-up machen. Vielen Dank, Klischee erfüllt. Es gibt einen Bereich zwischen Natural (female) Beauty und Travestie. Mein Vorhaben kommt einem Tabubruch gleich.

David Bowie und viele andere Helden des Glam Rock zelebrierten schon vor über vierzig Jahren Lidschatten und Blush – und die Welt sie. Schönheitspflaster und Talkumteint wurden im Barock von beiden Geschlechtern gefeiert. Die Rückentwicklung der männlichen Emanzipation auf dem Gebiet der Kosmetik ist tragisch, die Ansicht, dass insbesondere heterosexuelle Typen kein Make-up zu tragen haben, scheint heute in Stein geschlagen. Es ist diese toleranzlose Denke, die den Zugang zu einer aufregenden Ästhetik verbaut.

„In an ideal world, I wouldn’t have to change my body. I wouldn’t have to do all this stuff. I wouldn’t have to be pretty, or „feminine“ and people would respect that“.

Hari hat, wie mit so vielen Dingen, recht. In einer idealen Welt wäre es einfach egal. Es gäbe kein „weiblich“ , kein „männlich“. Es gäbe nur uns Menschen.