Oben & unten ohne: Eine Woche ohne Kosmetik. Ein Selbsttest.

Während Trinkspielen wünscht Du Dir die Kategorie Kosmetik-Brands? Der Drogerieeinkauf wird zum Spießrutenlauf – scheiße, eigentlich brauchst du nur Waschpulver und Klopapier? Spontane Einladungen zum Übernachten, bei jemandem den Du kaum kennst und noch schlimmer, mit dessen Skincare-Routine Du nicht vertraut bist, bringen Dich ins Schwitzen? Willkommen im Klub der Nonkosmetikphobiker!


Noch ein Absatz, dann ein Blick in die Make-up Schublade. Duschen, peelen, cremen, einsprühen, föhnen und noch mal schmieren, sobald ich diesen Text fertig habe. Wie bei so vielen Dingen und so oft im Leben frage ich mich: Wie viel ist zu viel des Guten? Bin ich mir der Mengen bewusst, die ich tagtäglich konsumiere? Habe ich einen Überblick über die Werte, die sich in meinen Kommoden, Bademanteltaschen, Aufbewahrungsboxen summieren? Will ich ehrlich sein, muss ich diese Fragen mit ‚nein‘ beantworten. Die Erkenntnis ein wenig die Kontrolle verloren zu haben ist sicherlich ein gutes Zeichen.

Aber bin ich wirklich ein Junkie? Oder ist meine Liebe zur Kosmetik einfach rein und bedingungslos? Meine Schwäche ein Hobby?

Der Blick in das Lexikon der ersten Wahl, Wikipedia, sagt Folgendes: „Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet.“ Nun, diese Definition hat mir nicht die benötigten Antworten geliefert, aber immerhin brachte mich der letzte Satz zum Lachen. Um meinem unstillbaren Verlangen auf die Spur zu kommen, habe ich den Selbsttest gemacht. Sieben Tage ohne Make-up. Ohne Schnickschnack. Nur die (wirklich) essenziellen Dinge waren erlaubt, damit ich nicht auf der Straße vom Hundefänger aufgegabelt werde.

Haptisch, akustisch, optisch, olfaktorisch – das Erlebnis des Konsumierens von Kosmetik läuft über viele Wahrnehmungskanäle. Für mich als Ernährungsbewusste ist Make-up wie Convenience- Food. Es macht mich glücklich und stellt keine Fragen. Die Intensität der ‚Entzugserscheinungen‘ hat mich dennoch überrascht. Obwohl meine Hände keinerlei Anzeichen einer ernsthaften Dehydration aufwiesen, hatte ich das unbestimmte Bedürfnis sie einzucremen. Schon am dritten Tag fühlte ich eine steigende Unzufriedenheit. Ich war niedergeschlagen und verspürte den starken Wunsch mir etwas Gutes zu tun. Natürlich traten keine physischen Symptome auf. Juckreiz verspürte ich nur nach dem Duschen, weil mir die Bodylotion fehlte. Am meisten quälte mich während meiner Selbstgeißelung, der Verzicht auf Parfum. Ich fühlte mich unsichtbar und unvollständig. Als ob mir ein Stück meiner Identität gestohlen worden wäre. 

Nein, ich habe nicht mit meinem Freund Schluss gemacht. Nein, ich habe keine Schlafstörungen. Nein, ich bin auch nicht krank – auch nicht anämisch.

‚Lebst du unter einem Stein oder haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass es lebensgefährlich ist eine Frau darauf hinzuweisen, dass sie kacke aussieht, Fucker!?‘ Auch wenn mir permanent besorgte Blicke zugeworfen und Nummern von Selbsthilfehotlines zugesteckt werden, sobald ich ungeschminkt bin, lasse ich sehr gerne Luft an meine Haut. Ich fühle mich wohl in ihr. Make-up trage ich nicht, um mich dahinter zu verstecken. Unangenehm wurde mir meine Nacktheit aber tatsächlich auf der Arbeit. Bei einem Geschäftstermin in meinem vollgesauten Bademantel aufschlagen? Eben. Ein respektvoller Umgang geht mit einem gepflegten Äußeren einher: Krawatte, Uniform, kaschierte Augenringe – das mag natürlich von Branche zu Branche variieren. Um das Ergebnis meiner Studie nicht zu verfälschen, war ich gezwungen eine Woche oben ohne durch die Büroflure zu schleichen. Die Reaktionen reichten von „Oh Gott ich hätte Dich beinahe nicht erkannt“ (übrigens, falls Du das hier liest, noch mal danke dafür) über „Liebeskummer?!“ und die Flasche Sekt für Notfälle schon kalt gestellt, bis hin zu „Krass, Du siehst wie 17 aus!“

Zu Hause bin ich immer ungeschminkt. Trage fünf Euro Badelatschen von Rossmann und Flanellpyjamas, mit Junkfood- oder Katzenprints. Ich glaube meine Mitbewohner stört das nicht.

Eine Woche ohne alles. Eine Woche Geschnüffel an Cremetiegeln. Ja, ich stehe noch. Ich habe schließlich nicht sieben Tage ohne Nieren gelebt. Als Nahtoterfahrung würde ich das Experiment auch nicht beschreiben. Allerdings denke ich jetzt zum ersten Mal, dass mein Ex-Freund möglicherweise recht hatte: Den Appalachian Trail werde ich irgendwann mit Schubkarre laufen. Oder ich heuere ein Muli an. Ich komme zu dem Schluss, dass Kosmetik ein integraler Teil meines Alltags ist. Hier und da lässt sich der exzessive Gebrauch sicherlich reduzieren. Es täte meinem Rücken gut und würde vieles erleichtern. Andererseits funktioniert diese Belohnungsstrategie für mich und einen laufenden Gaul soll man nicht stoppen.

Credit: Sarah Thiele