Lovetalk: Sexture Hair & der Lakenmythos

„Ist das nicht ein bisschen billig, wenn wir jetzt zu mir gehen?“, fragt er mich, während ich im Dunkeln die Rasenfläche nach meinen Schuhen absuche. Dabei sehe ich das Problem nicht und entgegne: “Na ja, entweder das oder eine Anzeige wegen öffentlichem Ärgernis in Kauf nehmen oooder bis zu unserem zweiten Date warten. Your choice.“ Das dachte ich mir. Auf dem Weg zu seiner Wohnung sagen wir beide kein Wort, packen uns dafür zweimal fast hin und schrotten beinahe den Fahrstuhl. Wie Sechzehnjährige stolpern wir schließlich durch den Flur auf sein Zimmer zu. Tür auf, Tür zu. Eine halbe Stunde später mache ich mich bereit nach Hause zu fahren, springe in meine Klamotten und da er ein Gentleman ist und mich zur U-Bahn bringen will, tut er es mir gleich. Ich frage ihn wie ich aussehe, was er mit „super“ beantwortet. Alright. Als ich die Zimmertür öffne, kommt langsam die Erkenntnis, dass er nicht alleine wohnt. Wie ich zu dieser Annahme gelange? Seine zwei Mitbewohner samt Girls säumen nun den Flur. Sie würden gerne applaudieren, verkneifen sich dann aber nur ein dreckiges Lachen. Völlig Panne gebe ich allen im Walton-Style die Hand und stelle mich vor. Im Nachhinein denke ich, dass sie mir vermutlich gar nicht die Hand geben wollten, weil sie wussten, wo die kurz zuvor überall war. Im Fahrstuhl bemerke ich den Spiegel, der mir beim ersten Betreten nicht aufgefallen ist. Ich sehe einfach kom-plett zer-stört aus! Wie die Alte in diesem Did you go out last night? Maybe..- Meme. Make-up und Haare sind total zerbumst, das T-Shirt ist nur halb in die Jeans gesteckt, übersät mit Grasflecken, der Blick minimal verstrahlt. Fehlt eigentlich nur noch ein offener Hosenstall. Selbst wenn uns seine Roomies nicht gehört hätten, hätten sie es mir buchstäblich an der Nasenspitze angesehen. „Super“ – von wegen.  Mittlerweile weiß ich, dass der Dude ohne Brille zero gucken kann.

Am nächsten Morgen im Office läuft Swantje und mir der Begriff „Sexture Hair“ durch die Timeline. Haben wir 2016 unter einem Stein verbracht? Hat jemand unser Gedächtnis gelöscht? Wie konnte uns „der heißeste Sommertrend“ des vergangenen Jahres entgehen? Für alle, die auch unter partieller Amnesie leiden, es handelt sich dabei, wie der Name schon erahnen lässt, um einen Haarstyle, der aussieht, als hätte man gerade mit dem „Liebsten“ eine „wilde“ Nacht verbracht. Und alle Stylisten so: Hoooooooot Gal. That’s so hot, it’s the latest trend you’naw? Warum? Weil es sich verkauft, natürlich. Angefickt rumzulaufen (als Beautyinsider und Wortakrobaten haben wir es eben mal schnell umgetauft) scheint deshalb auch diesen Sommer noch ein Ding zu sein. Mit der Erinnerung an den vergangenen Abend und den richtigen Out-of-Bed-Look, konnte ich nicht anders, als mich schrottzulachen. Wenn Gigi und Jourdan also ein bisschen Texturizing Spray einarbeiten und sich verrückt durch die Haare wuscheln und das dann sexturizing genannt wird, erinnert mich das stark an den Hollywood Lakenmythos.

Was das ist? Das ist, wenn Baby mit Johnny dreckig getanzt hat und danach wie unberührt, in das obligatorische, weiß-unbefleckte Laken gewickelt, rumfläzt. Wer braucht das? Sexszenen, in denen die Frau ihren BH trägt? Storys, in denen sie nach dem Liebesspiel makellos dahingegossen im Bett liegt? Ich kann nur für mich sprechen, aber wenn ich Sex hatte, dann ist erstmal die komplette Region um meinen Mund rot vom Bart oder den Stoppeln. Dann ist der Mascara abgebröckelt und diese Bröckel kleben dann überall in kleinen Würsten in meinem Gesicht. Der Rest ist verschmiert und lässt meine Wimpern stummelig aussehen. Die Haare? Die sehen aus, als wären sie mit diversen Körperflüssigkeiten in Kontakt gekommen. Was der Realität entspricht. Und so soll es doch auch sein.

Sex ist wie Fast Food. Es bockt erst richtig, wenn ordentlich rumgesaut wird.

Vor kurzem habe ich einen Artikel gelesen, in dem die Autorin ihre Unsicherheit beim Sex schildert. Sie fürchtet in einigen Positionen nich gut auszusehen und zieht die Stellung dann nur ihrem Partner zuliebe durch, obwohl sie sich dabei unwohl fühlt. Insbesondere oben zu sein macht ihr zu schaffen, da ihrer Einschätzung nach, ihr Doppelkinn aus diesem Winkel dreifach gut zur Geltung kommt. Eine Freundin fragte mich mal wie ich beim Orgasmus aussehen würde. Ich habe keine Ahnung und vor allem keine Zeit mir währenddessen einen Kopf darüber zu machen. Sich in seinem Körper nicht wohlzufühlen ist eine Sache, die ich vollkommen nachvollziehen kann. Aber diese Gedankenwelt, die ich nicht weniger ernst nehme, hat noch einmal eine andere Qualität. Sie signalisiert, dass viele von uns nicht mehr in der Lage sind abzuschalten. Der Selfie-Modus ist 24/7 aktiviert. Posen, gut aussehen und der perfekte Bildanschnitt – all das ist so tief in unserem Bewusstsein verankert, dass es sogar Einfluss auf Lebensbereiche nimmt, die eigentlich instinktiv geschehen. Von Frau zu Frau: Wann hat man sich jemals gedacht „fuck, sieht der Alte aus dieser Perspektive scheiße aus“? Das Problem befindet sich im eigenen Kopf und nicht über oder unter einem. Ich würde eher mein Handy aus dem Fenster schmeißen, als mein Leben lang schlechten Sex zu haben. Nachvollziehbar?

Ich bin der festen Überzeugung, dass vielen diese Entscheidung nicht so leicht fallen würde. Wann haben wir angefangen mit den Freundinnen darüber zu sprechen wie wir beim letzten Mal ausgesehen haben, anstatt auseinanderzupflücken wie der Sex an sich war? Lag der Fokus nicht mal auf der Qualität? Sexture Hair ist in diese Frage sicher nicht das Hauptproblem. Trends wie dieser, tragen aber auch nicht dazu bei, dass wir uns wieder mehr entspannen. Plus, man muss wirklich nicht aus allem einen Instagram-Look machen.