Liberté, Égalité, Diversité, oder: Weil wir es verdammt noch mal alle wert sind

Show Me Your Angel Eyes! Ich soll Euch meine Engelsaugen zeigen? In einem weißen, furchtbar billig aussehenden, aber vermutlich teuren Horrorfummel mit langen Fransen an den Ärmeln, à la Versace um die Jahrtausendwende, schwingt das Model der Stunde, Gigi Hadid, die Hüften, um mich von einer neuen Mascara zu überzeugen. Sie gibt wirklich ihr Bestes. Als wäre das nicht schon frustrierend genug, wird sie am Ende dieses Werbemeisterwerkes auch noch vertikal gespiegelt. Das gibt nämlich so einen raffinierten Effekt, wenn sie die Arme ausstreckt. Hiernach habe ich mehr Lust mir noch einmal das Wurst verzehrende, schmatzende Kind aus der EDEKAWerbung anzutun, das mich vor Weihnachten aggressiv gemacht hat, als elf Euro für eine Wimperntusche auszugeben. Was die Verantwortlichen in ihrem Elfenbeinturm hier nach allen Regeln des schlechten Geschmacks richtig gemacht haben, scheint sich L’ORÉAL in der aktuellen Your Skin, Your Story Kampagne als Mahnmal gesetzt zu haben. Dabei bringt der weltweit größte Kosmetikhersteller die Botschaft von Diversität auf den Punkt und hebt die Werbefloskel Because I am Worth It auf eine neue Bedeutungsebene.

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© Instagram.com/HariNef

16 Gesichter, 16 Geschichten, dieselbe Message: Egal welchen Alters, welcher Herkunft, welchen Geschlechts, du bist es wert. Neben Lara Stone, Blake Lively und Alexina Graham werben zudem die Plus-Size-Models Sabina Karlsson und Marquita Pring für die 33 Nuancen der True Match Foundation. Der unbestrittene Star der Kampagne ist allerdings die Aktivistin und Ikone Hari Nef. Das Transgender Model ist in den vergangenen Jahren zu einem Vorbild vieler geworden, brilliert mit intelligenten TED-Talks und bewegt durch starke Reden. Sie ist die Inkarnation eines neuen Zeitgeistes, eine crossmediale Influencerin, die für Akzeptanz, Vielfalt und Gleichberechtigung steht. Die 24-jährige ist unaufdringlich und wirkt im Vergleich zu bunten und lauten Werbefratzen, wie Heidi Klum oder Kylie Jenner schüchtern, zurückhaltend und elegant, was sie, für mich, umso präsenter macht. Neben Andreja Pejic, die 2015 als Gesicht für die Make Up For Ever Be You Kampagne verpflichtet wurde, wirbt Hari nun als zweites Transgender Model offiziell für einen internationalen Kosmetikkonzern.

Mein Herz im Sturm erobert hat darüber hinaus Darnell Bernard alias Nuance C8. Der Schauspieler ist absolut hinreißend, mit einem Lachen zum Umfallen und Anstecken. In meiner Kolumne vom 02. Oktober 2016 sprach ich über das immer noch weitverbreitete Tabu Männer Make-up. Genau zwei Wochen später stellte die Kosmetikmarke CoverGirl den 17-jährigen James Charles, samt seiner Fake Freckles, als neues und erstes männliches Gesicht ihres Hauses vor. Ich würde gerne glauben, dass mein kleiner Text etwas mit der Ernennung des Highschoolschülers zu tun hatte, daher träume ich weiter. Zwischen James und Darnell kam jedoch noch Manny Gutierrez, der unter dem Namen Manny MUA über zwei Millionen Subscriber auf Youtube verbucht. Anfang Januar zierte der Vlogger zusammen mit Influencerin Shayla Mitchell die Social Media Kampagne That Boss Life der Marke Maybelline New York.

So ging es Schlag auf Schlag und es scheint, als hätte sich das Anliegen Stellung zu beziehen, endlich auch in der Beautyindustrie manifestiert.

Mode hingegen, stand schon immer in ständiger Wechselbeziehung zu politischen und sozialen Bewegungen. Vor allem in den vergangenen drei Jahren haben die Frauenbewegung, das Transgender Movement sowie die Lesben- und Schwulenbewegung das Bild von Modenschauen und Kampagnen mitbestimmt, indem sie Designer dazu inspiriert haben Geschlechterrollen zu hinterfragen, sie zu verwischen und teilweise ganz aufzulösen. Marken wie Barneys und ihre Brothers, Sisters, Sons & Daughters Kampagne oder &other stories mit ihrer Transgender Kampagne nutzten ihre Reichweitenstärke, um auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, mit der Wahrnehmung von Gender Stereotypen zu spielen und diese in Frage zu stellen. Sicher, am Ende des Tages sind es Werbemaßnahmen. Empowertising. Möglicherweise Tools, um Pinkwashing zu betreiben und Profit einzufahren. Nichtsdestotrotz sind es Schritte in die richtige Richtung.

Wir suchen nicht nach abgedroschenen Floskeln oder überkommenen Werbebotschaften nach Schema F, sondern nach etwas, das in einer zunehmend politisch aufgeheizten Atmosphäre unsere Gedankenwelt zu repräsentieren vermag.

Wir suchen nach Marken, starken Statements, mit denen wir uns ideell identifizieren können – auch wenn es nur um Mascaras und Lippenstifte gehen sollte. Die großartige Virginia Woolf sagte mal: „Vain trifles as they seem, clothes have, they say, more important offices than to merely keep us warm. They change our view of the world and the world’s view of us.“ Da Mode und Kosmetik zwei Hörner derselben Ziege sind, verändern beide unseren Blick auf die Welt und den Blick der Welt auf uns. In Zukunft wünsche ich mir deshalb weniger schlecht getextete Slogans und ausdruckslose Testimonials und dafür mehr Geschichten, mehr Wahrheit, mehr Vielfalt. Warum? Weil wir es verdammt noch mal alle wert sind und das soll auch dem letzten Hinterwäldler auf die Netzhaut gebrannt werden. Hut ab, L’ORÉAL. Dieses Mal war es eine Punktlandung – ganz im Gegenteil zu dieser Aktion hier.