SCHIEFE ZÄHNE sind toll. Punkt.

Sie kommen ganz unerwartet und schaffen Momente vollkommener Klarheit. Manchmal vermögen sie sogar unseren Blick auf andere und den auf uns selbst zu verändern. Ich hatte eine ebensolche Eingebung, ein, wie es so schön heißt, Aha-Erlebnis und davon will ich Euch heute berichten.

Ich sitze also mit diesem Typ an der Bar. Er ist sehr intelligent, witzig und so richtig ka-cken-frech. Wenn er sich über mich lustig macht, weil ich zum Beispiel zweimal hintereinander links und rechts verwechsle, lacht er ein hämisches Lachen, eines von der Sorte, von der du nicht weißt, ob du ihn lieber schlagen oder gleich anspringen willst. Als er näher an mich herankommt, um mir etwas im Vertrauen zu erzählen – Klassiker – stelle ich fest, dass er auch noch perfekt riecht. Nicht zu aufdringlich. Nicht zu sehr nach nichts. Irgendwie warm, perfekt eben. Mir hängt die Zunge bis auf den Boden. Gut, denke ich mir, ich stehe auf ihn, was er mittlerweile auch schon mitbekommen hat, unter anderem, weil ich es ihm gesagt habe.

Ihr kennt mich, ich bin nicht so gut darin Sachen für mich zu behalten oder mysteriös zu wirken.

Während ich gedanklich weiter das scanne, was sich vor mir abspielt, komme ich zu dem Schluss, dass er für mich das gewisse Etwas hat. Und seit diesem Abend weiß ich auch genau, was das ist.

Es sind seine Zähne. Seine schiefen Zähne. Als hätte jemand ein Licht angeknipst, kam mir die Erleuchtung, während er mir erklärte, dass er sie in naher Zukunft richten lassen würde. Nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte, versuchte ich ihn panisch davon zu überzeugen dies bitte nicht zu tun. Mir gingen die Argumente aus und ich begriff, dass er sich verarscht vorkommen musste. Er glaubte mir schlicht und einfach nicht. Warum auch? Vor ihm saß eine Frau, die dem Anschein nach „perfekte“ Zähne hat, gerade und weiß, wie aus einem Katalog – ich war nicht in der Position und hatte nicht das Recht ihm sein Vorhaben auszureden. Als Kind der Neunziger trug ich über sechs Jahre eine Spange.

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Von der Horrorkonstruktion, dem Außenbogen, über das klassische, feste Modell, bis hin zur Losen, war alles dabei, um das, was mein Vater mir genetisch mit auf den Weg gegeben hat, zu korrigieren. Ich schätze, das Resultat ist so, wie es sich mein damals hochgradig verhasster Kieferorthopäde vorgestellt hat – ein „Meisterwerk“. Aus heutiger Sicht grenzt es für mich beinahe an Körperverletzung Kindern und Jugendlichen die Zähne korrigieren zu lassen. Dennoch ist es gang und gäbe diese, in den meisten Fällen, reinen Schönheitseingriffe durchführen zu lassen. Mit 13 Jahren konnte ich noch nicht wissen, dass ich irgendwann schiefe Zähne als etwas unglaublich Schönes und Interessantes wahrnehmen würde. In gewisser Weise wurde mir so ein Stück Individualität geraubt, eine Tatsache, die mir erst durch den besagten Abend klar geworden ist.

Aus welchem Grund unterscheiden wir zwischen einer Zahnkorrektur oder auch dem Ohrenanlegen, das an Kleinkindern durchgeführt werden darf und einer Brustvergrößerung? Weshalb gilt das Piercen und Tätowieren von Minderjährigen als Körperverletzung, jedoch nicht der schmerzhafte, langjährige Prozess des Zähnerichtens?

Möglicherweise, weil uns in unserer hochleistungsorientierten Gesellschaft eingetrichtert wird, ein strahlendes Lächeln sei der Schlüssel zum Erfolg und ein perfektes Gebiss die halbe Miete von irgendwas.

Diese Gedanken basieren natürlich auf meinen persönlichen Vorlieben. Ich war schon als kleines Mädchen in David Bowie verliebt, wollte schon immer aussehen wie Laetitia Casta, finde, dass meine kleine Schwester, mit ihren Kirsten Dunst Zähnen das bezauberndste Lächeln der Welt hat und habe festgestellt, dass ausnahmslos jeder meiner Ex-Freunde schiefe Zähne hat. Das ist so offensichtlich, dass es wehtut. Jedem steht es natürlich frei mit seinem Körper zu tun, was ihm beliebt. Für mich jedoch sind schiefe Zähne, ebenso wie Sommersprossen, Muttermale, Locken oder Segelohren, besondere Merkmale, die uns einzigartig machen.