LOVETALK: Zeit für einen Tinder-Detox

Es ist eine Weile her, dass ich in der letzten Sonntagskolumne über die Wirrungen und insbesondere die Irrungen meines Liebeslebens gesprochen habe – was zugegebenermaßen kein solches war, sondern eher ein Sexleben, wenn man es genau nimmt. Und das nehmen wir. Jedenfalls habe ich in eben diesem letzten Lovetalk gestrippt. Ich habe blank gezogen und einen Flitzer hingelegt, mich sozusagen emotional nackt gemacht. In diesem Text habe ich nämlich einem Mann durch die Blume gesagt, dass ich ihn mag. Mehr, als es für nur ‚Bumsen und Eis‘ nötig wäre. Ich denke, ich muss nicht ins Detail gehen. Das Schweigen der vergangenen drei Wochen verdeutlicht besser, als ich es mit Worten kann, was passiert ist. Nämlich gar nichts. Er blieb still und somit eine Antwort aus.

Ich bin wie Drew Barrymore, aka Josi Geller in dem Film Ungeküsst, in dem die Journalistin den Mann, in den sie sich verliebt hat, über einen Artikel öffentlich bittet ihr ihren ersten richtigen Kuss zu geben. Stattfinden soll das Ganze vor einem Baseballspiel. Fünf Minuten würde sie auf dem Feld auf ihn warten. Natürlich erscheint der süße Lehrer Sam Coulson, gespielt von Michael Vartan, in letzter Sekunde und es gibt ein Happy End. Da ich aber im Hier und Jetzt und nicht in einer Hollywood-Produktion lebe, bestand das reelle Risiko für meine Online-Aktion keinen Applaus zu bekommen.

Passiert, that’s part of the game und das Leben geht weiter.

Ob ich enttäuscht war? Klar, allerdings vornehmlich von der Reaktion. Von der Unfähigkeit fair und respektvoll mit einem anderen Menschen umzugehen. Ich habe das schon so oft erlebt und gehört, dass ich allmählich den Eindruck bekomme, dass wir grundlegende höfliche Umgangsformen verlernen. Natürlich ist das auf einer Plattform wie Tinder extrem. An einem Ort, an dem sich so viele Erwartungen und Wünsche kulmullieren, die Fluktuation an Dating-Partnern so exorbitant hoch ist, dass, so scheint es, Verdrängungsmechanismen und Abschuss-Strategien entwickelt werden müssen, die dann, fancy verpackt, Namen bekommen, wie ‚Benching’ oder ‚Ghosting‘. Mir persönlich reicht es (mal wieder). Es ist Zeit für einen Tinder-Detox. Zeit im echten Leben auf die Suche zu gehen.

Ich habe gehört, das hat man früher so gemacht. Als es noch CD’s gab.

In den vergangenen Wochen haben meine Kolleginnen ihre Körper von Giftstoffen befreit. Jetzt will ich es ihnen gleichtun. Nur auf meine Weise. Ich will den ganzen Rotz loswerden, der sich über die vergangenen zwei Jahre angesammelt hat: seelischer Abfall, unverarbeitete Bekanntschaften und verdrängte Enttäuschungen. Es ist Zeit die Festplatte zu resetten. Denn das letzte, was ich will, ist irgendwann auch so zu werden. Ich will nicht innerlich derart zugemüllt sein, dass ich bereitwillig auf den Gefühlen anderer Menschen herumtrample, nur weil es für mich in der Situation die einfacherer Option darstellt.

Schnell den Kopf aus der Schlinge ziehen und weiter geht’s? Nichts, was wir in der Vergangenheit erlebt haben, gibt uns die Legitimation die Verantwortung für unser Handeln mit dem nächsten Swipe abzugeben. Dabei ist Tinder nicht das eigentliche Problem. Es ist lediglich ein Katalysator. Tinder ist ein Spiegel dessen, was in uns schlummert. Ein Medium, das die unschönen Eigenschaften in uns zu Tage fördert. Der App die Schuld zu geben, ist aber so schön einfach, nicht wahr?

Die Anonymität der Plattform schenkt Sicherheit, sodass kaum noch jemand meint sich an die eigene Nase fassen zu müssen. Das Match löschen, bei WhatsApp blockieren und die ‚Unannehmlichkeit‘, wohinter sich ein Mensch verbirgt, ist aus dem Weg geräumt. Kurz aufatmen und ab zum nächsten Date. Diese Verrohung, als die ich jenes Verhalten bezeichnen würde, ist so feige und armselig, dass ich mich am liebsten selbst anbrechen würde. Was ist los mit uns Menschen? Was ist aus R-E-S-P-E-C-T geworden? Aus, ‚find out what it means to me. R-E-S-P-E-C-T, take care, TCB‘? Auf diese Frage hat Gal Aretha natürlich auch die Antwort:

‚Think‘!

Wenn es doch so einfach wäre. Tinder-Detox schön und gut. Ich behaupte, 90 Prozent der Singles da draußen, die ich in der echten Welt kennenlernen könnte, sind in der Dating-App aktiv. Das ist ein Teufelskreis. Die Jagd nach einem Einhorn. Und selbst wenn wir etwas finden, dass wenigstens schonmal wie ein Pferd aussieht, lassen wir es weiterziehen. Lauf Fury! Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, es könnte noch was Besseres um die Ecke kommen. Vielleicht eins mit einem größeren Horn? Swipe um Swipe. So geht das Spiel weiter. Neues Handy, neues Auto, neuer Job, neue Klamotten. Alles muss neu und aufregend sein. Dabei sinkt die Halbwertszeit von Gebrauchsgegenständen gleichsam mit der von Menschen. Es muss doch noch besser gehen. Es muss einfach. Dabei ist dieses unstillbare Verlangen keine Generationssache. Bekannte im Alter meiner Eltern sind bei Tinder. Egal, ob 25 der 50, Rücksichtslosigkeit kennt kein Alter.

Ich kann den Ursprung dieser Rastlosigkeit nicht genau benennen, ich weiß nur, dass ich daran nicht mehr partizipieren möchte. Vielleicht bedeutet das, dass ich eine Weile so richtig solo sein werde. Vielleicht auch, dass ich irgendwann einsam wie Bridget Jones sterben und nach ein paar Tagen, von Schäferhunden angefressen, gefunden werde, weil meinen Nachbarn der Gestank auf den Sack geht. Doch das Risiko gehe ich ein:

Alles auf Null.