Abgenervt, übermüdet und unentschlossen wabere ich Samstag Abend mit meiner besten Freundin durch den Edeka um die Ecke. Der Abstand zwischen meinem Hirn und meinem Rückenmark wird mit jedem Schritt größer. Statt eines konstruktiven Gesprächs über mögliche Abendbrotoptionen grunzen wir vor uns hin. Einmal grunzen bedeutet „Nimm den Grauburgunder“, zweimal grunzen „und gleich die Literflasche“. Über die Jahre haben wir diese Art der halb-verbalen Kommunikation perfektioniert. Nach dem Motto high carb, low life schmeiße ich Brot, Nudeln und Kekse in unseren Handkorb. Lea freut sich, meine Hüften auch. Schließlich warnt mich irgendeine restaktive Region in meinem Kopf vor dem Risiko einer möglichen Skorbut-Erkrankung. Also schlage ich zwei Mal lang hin und finde mich vor den Smoothies wieder. Und da steht er in seiner ganzen strahlend-rosa Pracht. Eine perfekt-glattpürierte Mixtur aus Himbeeren und Sojaprotein. Klingt zwar wenig genießbar und viel zu teuer, trotzdem, das Preis-Leistungsverhältnis stimmt, immerhin ist er, hallo, ROSA.
Ich kaufe ihn und schaue ihn mir auf dem Nachhauseweg immer wieder an. Später beim Flixen kloppen wir uns als Krönung, Schokolade in die Figur. Sie ist viel zu süß und hat einen billigen Nachgeschmack. Als ich mir anschauen will, was ich da eigentlich konsumiere, glotzen mich zwei verträumte Augen an.
Sie gehören einem, über das Einwickelpapier springenden, Schmetterlinge pupsenden Einhorn.
Die Fabelwesen der Marke Squatty Potty furzen zwar keine Insekten, dafür aber Regenbogen – und das sehr erfolgreich. Abgefüllt in kleine Druckbehälter werden die Gase als Toilettenspray von einem Dude mit Prinz-Eisenherz-Frisur angepriesen, während im Hintergrund des Spots der flauschige Pferdearsch von einer Saugglocke bearbeitet wird. An Skurrilität ist dieses trashige Szenario kaum noch zu übertreffen. Vor einem Jahr hätte ich vermutlich über den absurden Clip gelacht und über die Investition in einen Einhorn-Onesie nachgedacht. Heute empfinde ich Projekte, wie diese als belastend und überflüssig. Es geht mir auf die Nerven und an die Nieren.
Aus Spaß und um zu beweisen, dass ich nicht übertreibe, habe ich einen Tag Einhörner gezählt.
Die mystischen Huftiere begegneten mir auf Kosmetikprodukten, wie Duschgelen, auf Plakaten, Shirts, Handtaschen, Adventskalendern, in Form von Ballons, Socken, Junggesellinnenkostümen, Anti-Liebeskummerpillen, in Tutorials sowie sämtlichen Social Media Feeds. Das Topping auf diesen zuckersüßen Marketingstrategien war die Horde Männer, die gehörnt im Zeitraffer durch Berlins U-Bahnstationen turnten. Zugegeben, sie bildeten einen interessanten Kontrast zu dem sonst stinkenden Schlotz, aber bin ich wirklich die Einzige, die denkt, dass das total meschugge ist?
Am Ende des Tages belief sich das Ergebnis im Übrigen auf 37. Also knapp vierzig Mal suchte mich das Wesen heim, das mich in meiner Kindheit fasziniert hat. Unvergesslich sind doch Filme, wie Das letzte Einhorn aus dem Jahr 82. Interessanterweise hat das Zeichentrickwerk kein Revival erlebt. Das wäre vielleicht passiert, wenn Sean Paul und Fifth Harmony einen Remix aus dem gleichnamigen America Song gemacht hätten. Ich bin froh, dass es nicht dazu gekommen ist. Auch später, während meines Geschichtsstudiums, bewunderte ich noch die ikonischen Bilder auf Wandteppichen sowie die Bedeutung des Einhorns in der alchemistischen Lehre.
2016 klatscht rein und unschuldig gegen kommerzialisiert und billig in Asien produziert. Hierfür einen Applaus. So fantasielos und profitorientiert, wie die Victoria Secret Shows reagiert der Einhorn-Kult auf unser Kaufverhalten. Hat uns nicht Jurassic Park eins bis vier, mal besser, mal schlechter, vor Augen geführt, was passiert, wenn ein alter Patriarch mit zu viel Geld versucht ausgestorbene Tierarten zu neuem Leben zu erwecken? Hier eine kleine Gedächtnisstütze auf unsere Situation umgemünzt:
Gott erschafft Einhörner, Gott vernichtet Einhörner, Gott erschafft Adam, Adam vernichtet Gott, Adam erschafft Einhörner. Einhörner fressen Adam und Eva besitzt die Erde. In diesem Sinne und dem des Allgemeinwohls, lasst die Einhörner in den Geschichtsbüchern und aus meiner Dusche raus, danke.