Hätte ich jedes Mal einen Euro für einen abfälligen Spruch über die Art und Weise, wie ich mich schminke bekommen, hätte ich keinen Studienkredit aufnehmen müssen. Mit Beleidigungen, wie „Tussi“ und Betitelungen, wie „oberflächliches Stück“ hätte ich längst ausgesorgt und gleich nach dem Abitur in Frührente gehen können. Wozu studieren? Ich bin doch augenscheinlich „dumm“. Ich muss kleingeistig sein, immerhin verwende ich morgens eine halbe Stunde darauf mit Sorgfalt Make-up aufzuspachteln, statt bei meiner ersten Tasse Kaffee die Zeitung zu lesen. Für die Fachhochschulreife musste ich lediglich die Lehrer anklimpern. Einmal mit dem Plumpig-Gloss gefuchtelt und auch die Professorinnen hatte ich auf meiner Seite. Sie alle habe ich mit Leichtigkeit um den kleinen manikürten Finger gewickelt, noch bevor sie ‚Oberlippenenthaarung‘ hätten sagen können oder ich einen verträumten Blick in die Bücher hätte werfen müssen. Von der Kosmetiktasche auf den IQ eines Menschen zu schließen ist so unoriginell und mit einer solch offensichtlichen Doppelmoral behaftet, das ich mir überlegt habe Wochenendseminare im geistreichen Beleidigen zu geben, sollte mir das Frührentnerdasein irgendwann zu langweilig werden.
Ich liebe ein gutes, konstruktives Streitgespräch. Ein Bekannter und ich werfen uns gerne Spitzen zu. Das ist unsere Art der Kommunikation und ein Weg unsere Zuneigung füreinander auszudrücken. Er ist Politikstudent, gegen Intoleranz und gleichzeitig leidenschaftlicher Vorurteiler. Leider greift er ab und zu, während unserer freundschaftlichen Diskussionen, daneben. Dann bedient er sich, meist unbewusst, in der Sexismuskiste oder bringt wenig Kreatives hervor, wie:
„Trägst du heute nicht zu wenig Make-up?“
Ich war ungeschminkt. Es war Sonntag. Sein Spruch in der Wurzel verletzender, als ich zugeben wollte, allerdings auch aufschlussreich. Er gab einen tiefen Einblick in die seichte Gedankenwelt vieler Menschen. Mit derartigen Kommentaren versuchen sie sich über einen zu stellen. Ein intellektuelles Machtverhältnis zu demonstrieren, bei dem man klar unter ihnen steht. Leider pissen sich Hater damit nur selber ans Bein und decken unabsichtlich ihre eigenen Schwächen auf. Ich schlug meinem Kumpel daraufhin vor er könne sich ja für Warnhinweise auf Kosmetikverpackungen einsetzen:
„Make-up macht dumm und
kann die Potenz einschränken“.
Als Make-up liebende Feministin hat man es doppelt schwer, kämpft an zwei Fronten gleichzeitig. Während meines ersten Studiums wurde mir von einem verirrten Femref-Mitglied vorgeworfen ich würde mich mit meinem Aussehen an die Männer verkaufen. Herrlich theatralisch. Sie baggerte mich später berauscht auf dem Sommerfest des Fachbereichs auf der Frauentoilette an, während unsere Professorin für Mittelaltergeschichte vor dem Spiegel klebte und versuchte Lippenstift aufzutragen. Ich hätte ihr ja geholfen, dachte dann aber es würde diesen magischen Moment zerstören.
Die Genugtuung war mein.
Einer meiner engsten Freunde wendete sich von mir ab, nachdem ich mich für Modejournalismus einschrieb. Tinder-Schorse, konservativ bis unters‘ Dach, hätte mir am liebsten einen Exorzisten vorbei geschickt, als er auf meinem Instagram-Account den Post von Julia Korbiks Beststeller „Stand up“ sah. Feminismus sei unsexy. Ich solle besser Bauch-Beine-Po-Übungen machen, sonst würde ich keinen Ehemann finden. Der Feind meines Feindes ist anscheinend nicht mein Freund. Wäre dies tatsächlich der Fall, hätte ich nur Verbündete. Ich fühle mich wie die Butter in einem Idioten-Sandwich. Um so viel Ignoranz zu ertragen, muss ich mehr Haarspray inhalieren.
Belächelt und unterschätzt zu werden hat einen Vorteil: Auf dem Weg zur Weltherrschaft bleibt man mit seiner Tarnmaske unbemerkt. Ein Rückschlag tut dem Gegner doppelt weh, wenn er unerwartet kommt. Hillary Clinton kommentierte das so: „Immer wenn ich auf der Titelseite eine Geschichte platzieren will, ändere ich meine Frisur.“ Und siehe da, wo sie heute steht. Davon inspiriert werde ich mit extra-bunter Kriegsbemalung in die Schlacht ziehen.