Würde man menschliches Präventionsverhalten betiteln wollen, wäre es vermutlich das Kind muss erst in den Brunnen fallen. Auf die Bereitschaft bezogen, portable Verhütungsmittel mit sich zu führen, hieße es dann: Bevor ich ein Kondom benutze, muss mir erst der Penis abfallen. Das ist zumindest mein ganz persönlicher, derzeitiger Eindruck. Ja, Kondome nerven. Sex mit Gummi fühlt sich nicht so gut an. Guess what? Syphilis auch nicht! Der Latexgeruch ist unangenehm? Get over it. Ich habe das Gefühl, dass wir in Sachen Kondome Rückschritte machen. Neuste Trends, wie das Stealthing, sind nicht nur alarmierend, sondern ein ganz klares Indiz dafür, dass hier etwas gehörig aus dem Ruder läuft. Männer, die ungefragt das Kondom während des Sex abziehen, weil sie es als ihr naturgegebenes Recht ansehen ihren Samen zu streuen? Geht’s noch? Meine Erfahrungen bestätigen diese Entwicklung leider. Deshalb hier einmal meine Top drei Ausreden, warum Typen keinen Präser dabei hatten und meine Gedanken dazu:
„Du siehst aus, als hättest du nichts“
(Thilo*, 31, Anwalt)„Aren’t you on birth control?“
(Dylan, 34, Sänger)„Ich zieh’ ihn vorher raus“
(Lars, 34, Ingenieur)
Ich rolle das Feld mal von hinten auf und starte bei Lars. Coitus Interruptus oder was? Fun Fact: Lars Erzeuger ist Gynäkologe. Das nenne ich eine verkorkste Vater-Sohn-Beziehung. Seine Aussage ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen ist der Gute der Annahme, den Penis vor dem Höhepunkt rauszuziehen, würde vor einer ungewollten Vaterschaft schützen. Zum anderen hat er anscheinend noch nie von Chlamydien gehört. Oder dem Rest der Gang. Vielleicht ist er aber auch etwas ganz Besonderes und immun? Dylan zieht sich komplett aus der Affäre und sieht die Verantwortung bei der Frau. Thilo ist jedoch meine ungeschlagene Nummer Eins. Zweimal in Folge erschien er unvorbereitet zu unseren Dates. Zweimal musste ich aushelfen. Es kann immer sein, dass einer kein Kondom dabei hat. Bei Thilo und den beiden anderen lag es einfach daran, dass sie keinen Bock drauf hatten. Und das geht gar nicht. Nachdem der Schutz in mir stecken geblieben war, reichte es mir und ich nahm den Herrn Anwalt ins Kreuzverhör. Sich für sein verantwortungsloses Verhalten zu rechtfertigen, war ihm nicht unangenehm genug, um mit der dümmsten Ausrede der Welt um die Ecke zu kommen (s.o.). Darüber hinaus fand er die Vorstellung von dem Kondom in mir so witzig, dass er sich am liebsten auf die Schenkel geklopft hätte. Nachdem ich das Latex losgeworden war, verabschiedete ich Thilo mit den Worten:
„Schon mal daran gedacht, dass das Kondom abgerutscht ist, weil dein Penis zu klein ist für die durchschnittlichen 52 Millimeter aus der Drogerie?“
Ja, das war fies. I know. Aber auch irgendwo angebracht. Es ist wahrscheinlicher, dass so etwas passiert, wenn Gummis nicht richtig passen. Also was? Soll ich mir die Hormone reinballern und dazu Kondome in den Größen XXS bis XXL in der Nachttischschublade haben? Just in case? Nur, weil in diesen Fällen, die leider keine Seltenheit sind, nicht mal das Mindestmaß an Mühe und Verantwortung an den Tag gelegt wurde?
Die Vorstellung von all den Malen, bei denen er mit der Oops, ich habe es nicht geschafft welche zu besorgen-Nummer durchgekommen ist (es gibt natürlich ebenso kondomfaule Frauen, gar keine Frage!) hat mich schließlich acht Wochen später zum HIV-Test rennen lassen. Die 17,56 Euro hätte ich ihm am liebsten in Rechnung gestellt. Wieso verbindet Mann den Penis-Vergleich mit den Dudes nicht mit der Bestimmung des eigenen Durchmessers? In Sex-Shops gibt es alle Größen und ein Markenportfolio, dass über Durex und Co. hinausgeht. Darüber hinaus kann man sich dort professionell beraten lassen. Schafft man das nicht ohne hochroten Kopf, geht das auch bequem online. Dieser Widerwille signalisiert mir immer wieder, dass Verhütung weiterhin zur Frauensache gemacht wird. Bestes Beispiel hierfür: Die Forschungen für die „Pille für den Mann“ wurden wegen der Nebenwirkungen eingestellt – side effects, wie Kopfschmerzen, Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen. Joar. Mit der steigenden Kritik an der Pille sowie des derzeitigen Geschlechterdiskurses habe ich jedoch die Hoffnung, dass sich hieran über kurz oder lang etwas ändert. Und bis dahin gilt: Nicht warten bis der Penis in den Brunnen fällt!
*Alle Namen geändert