23:17 Uhr. Endlich zu Hause. Was ein Scheißtag. Ich schlurfe die Treppen zu meiner Wohnung hoch, denke, dass ich sofort ins Bett muss und wohl doch nicht mehr unter der Dusche eine Runde heulen werde. So wie es mein Plan war. Ich bin zu erschöpft. Erschöpft, wie leer. Ich habe nichts mehr zu den vergangenen Stunden hinzuzufügen. Es sind keine Wörter mehr in meinem Kopf. Als ich die Tür öffne, schlägt mir dann allerdings Gelächter entgegen. Für einen Moment reißt es mich aus meiner Lethargie. Die Geräuschkulisse lenkt meinen Blick auf das Badezimmer, in dem meine beiden Mitbewohnerinnen sitzen und sich völlig betrunken gegenseitig die Haaransätze färben. Sophie* hat einen großen braunen Fleck auf der Stirn, der ihre Stimmung offensichtlich nicht zu trüben vermag. Carla drückt mir ein Glas Weißwein in die Hand. Nun bricht auch die letzte emotionale Bastion. Ich schleife das Couchtisch große Mango-Paket durch den Flur und setze mich zu den Girls. Mein Hintern hat kaum die Fliesen berührt, da beginnt Carla das Verhör: „Sooo…wie war denn dein letztes Date, die wievielte Verabredung war es nochmal? Die Dritte? Hattet ihr endlich Sex?“ Bevor ich meine Antwort ausspreche, kenne ich schon die Reaktion, die folgen wird: „Nein, hatten wir nicht.“ Carla erklärt das sie das höchst seltsam findet, wittert Potenzprobleme und fragt, was wir stattdessen getrieben hätten (wenigstens ein bisschen Dry Humping oder Petting?)„Wir haben uns die Haare gefärbt, allerdings gekonnter, als ihr beiden“, entgegne ich und zeige auf Sophies dunkelbraun gefleckte Stirn, wobei ich noch hinterherschiebe: „Sag mal, hast du morgen nicht eine Pitch Präsentation?“
Die Situation, die ich beschrieben habe, klingt total gescribtet, hat sich aber genau so vor ein paar Tagen in meiner WG ereignet. Und dafür bin ich sehr dankbar. Diese Östrogen schwangere Konstellation, in der ich seit zwei Monaten lebe, nenne ich auch gerne das Tribunal. Hier gehen wir, wann immer wir uns in der Küche treffen, ins Gericht. Mit Männern. Männern, die wir treffen. Mit denen wir schlafen. Mit denen wir nicht mehr schlafen. Wir hatten kurzzeitig überlegt, ob wir uns ein White Board holen sollen, auf dem wir eintragen können wer, wann, wen datet bzw. gedatet hat.
Da aber die meisten Typen bei Tinder Chris, Christian, Christoph, Christopher, Marc/Mark, Marco/Marko, Markus, Philip/Filip, Philipp oder Filipe heißen, war der Plan hinfällig, weil überflüssig.
Die kann man auch mit Hilfe Gedächtnis unterstützender Mittel nicht auseinanderhalten (wer richtig schlau ist, macht es wie mein Onkel. Der hatte mal drei Freundinnen gleichzeitig, die alle Steffi hießen). So kommt es, dass obwohl wir uns erst kurze Zeit kennen, die ersten Distanzen bereits überwunden wurden. Nichts schweißt so eng zusammen, wie Boys Trouble. Und nur wenig bringt mehr Spaß. Mitbewohnerinnen, Kolleginnen, Schwestern, Freundinnen, Fremde in der Bahn, – es gibt etwas, das uns alle verbindet: der mehr oder weniger bewusste Wunsch nach Nähe zu einem anderen Menschen. Dabei schleppt ein jeder von uns sein Päckchen mit sich herum. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bilden frisch Verliebte. Da hängt der Himmel voller Geigen. Da gibt es keinen Redebedarf.
So wird jede Verabredung, jedes Gespräch bis ins kleinste Detail auseinander gepflückt, analysiert, ausgewertet und in die Statistik eingetragen. Nur, um am Ende einen ernüchternden Blick auf das sorgsam erstellte Tortendiagramm zu werfen und festzustellen, dass es eh immer anders kommt, als man denkt. By the way, bevor ich den vorherigen Satz beenden konnte, bekam ich eine kommentarlose Nachricht im Messenger von einer guten Freundin mit dem Inhalt: „nicht schwanger!“ Auch schön, so in Panik zu sein, dass man auf der Arbeit zwischen Abgaben und Pressesamples einen Schwangerschaftstest macht. Da würde man doch verrückt werden, wenn man nie über diese Dinge spräche. Männer, macht euch da bitte keine Illusionen. Lernt ihr die besten Freundinnen eurer Girls kennen, wissen die meist ziemlich genau wie ihr im Bett performt und wie eure Buden aussehen. Sie wissen es so genau, als hätten sie währenddessen daneben gelegen. Als hätten sie heimlich eure Wohnungen inspiziert oder Snaps bekommen, während ihr auf der Toilette wart. Wenn ihr euch mal wieder wie Arschlöcher aufgeführt habt, könnt ihr davon ausgehen, dass die Mitbewohnerin eurer Freundin (die, die den ganzen Abend irgendwie in der Nähe ist) euch gerne auf’s Maul hauen würde. Kleiner Tipp aus Güte: Wenn ihr den Atem in eurem Nacken spürt, ist es fast soweit.
„Sein Hund kam zwischendurch rein und hat sich neben das Bett gesetzt“, „Scheiße, sind das Gefühle. Igitt?“ und „Er meinte, wir waren zusammen auf der Startbahn, wären aber nicht zusammen abgehoben“ – das sind meine liebsten Nachrichten der vergangenen Woche. Das ist der richtige Dirty Talk. Der, der zwischen Frauen geführt wird. Ich könnte Bücher damit füllen. Meine Kollegen im Office fragen mich ständig, warum ich oft so plötzlich loslache, sie würden gerne mitlachen. Da habt ihr die Antwort. Weil ich auf sämtlichen Kanälen Sexgespräche führe. Und das ist irre erheiternd und gleichzeitig tröstend. Zusammen fühlt man sich mit dem Wahnsinn vor der Tür weniger allein.
Deshalb widme ich diese Kolumne allen Frauen in meinem Leben, die strong as hell, bezaubernd sensibel und furchtbar durchgeknallt sind. Ihr seid meine Stimmen der Unvernunft. Ohne euch wären Männer nicht mal der halbe Spaß und das (Liebes)-Leben ein ganz schön einsamer Ort.
*alle Namen geändert