Firmen, die es nur dank Crowdfunding gibt. Produkte, die nur aufgrund einer maßgeblichen Nachfrage produziert werden. Weniger Verschwendung und weniger Verpackung, dafür mehr spezifische Produkte und Bundles, die erst durch echtes Interesse kreiert werden. All das ist in Zeiten von Spotify, Netflix und Everlane längst Wirklichkeit. Und wenn Geschäftsmodelle in Mode und Musik funktionieren, dann tuen sie das im Beauty Business wohl auch. Das muss sich wohl Marcia Kilgore, Creative Advisor, gedacht haben. Dabei herausgekommen ist BEAUTY PIE. Ein Konzept, was die gesamte Branche verändern könnte – wenn alles glatt läuft. Wie immer bei neuen Geschäftsmodellen wird die Masse entscheiden, ob das Cool Kid der Branche funktioniert.
Nun hat sich aus dem Verdacht, den wir alle schon längst in uns tragen, ein handfestes Geschäftsmodell entwickelt. Kein Beautyjunkie unter uns kann mir erzählen, dass er sich noch nie gefragt hat: wo werden eigentlich all diese Beautyprodukte hergestellt, die wir uns täglich ins Gesicht schmieren? Gibt es da draußen im groben und ganzen nur eine Hand voll Produktionsstätten, in denen neben Armani dann auch Catrice, Chanel und Co. gleichzeitig vom Band laufen? Und warum sind Lippenstifte dann eigentlich teilweise so abartig teuer, wenn sie doch alle im Grunde genau gleich hergestellt werden?
Laut Marcia, Creative Advisor der neuen Plattform Beauty Pie, sind Handel und Brands die großen Geldfresser, die uns das Geld für Beauty aus der Tasche ziehen. Klar, wer antwortet auf die Frage, welchen Lippenstift man gerade trägt, nicht gerne: Chanel! Sephora! Marc Jacobs! Das hört sich nicht nur fancy an, sondern katapultiert einen auch gleich mal in die Front Row der Beautyjunkies. Dass dabei alle Lippies in der gleichen Produktionsstätte ihre Geburtsstunde feiern, verwundert eigentlich gar nicht. Nur: warum zahlen wir den Aufpreis trotzdem weiter?
Marcia Kilgore hat sich die gleiche Frage gestellt. Dabei steckt sie viel tiefer in der Szene als wir uns alle jemals erträumen könnten. Seit Jahren ist sie im Business tätig und hat schon diverse Brands gegründet. Darunter fallen zum Beispiel Bliss und Soap & Glory, die sie beide erfolgreich verkauft hat. Und dieser Beautyaddict, der in Tuben und Tiegeln schwimmen muss und bestätigt, dass die Lippenstifte diverser Labels vom gleichen Band laufen, hat ein Erlebnis geprägt: mit einem Koffer voller Gratis-Testprodukte, die ihr zum Testen mitgegeben wurden, stand sie vor einem prall gefüllten Beautyregal und dachte sich nur:
„Gott, bin ich froh, dass ich nicht den vollen Preis für all diese Produkte zahlen muss!“
Das war sie wohl, die Geburtsstunde von Beauty Pie. Denn aus diesem Gedanken ist folgendes Konzept entstanden: Gemeinsam mit Chemikern und Herstellern großer Prestige-Firmen entwickelt Marcia neue Pflege und Make-up Produkte, die unter dem Label Beauty Pie auf den Markt kommen. Wer dem Beauty Pie Club für 10$ im Monat beitritt, bekommt diese Produkte allesamt zum Fabrikpreis. Alle anderen zahlen den regulären Marktpreis. Ein kleines Beispiel: Beauty Pie lanciert einen Lippenstift. Für Nicht-Clubmitglieder kostet er 25 $. Für Mitglieder 2$. Ja, richtig gelesen. 2$.
Nur wie geht das? Ganz einfach: Beauty Pie funktioniert nicht nach den üblichen, leicht veralteten Geschäftsmodellen. Hier wird in der Distribution auf Zwischenhändler, externe Verkaufsorte und die übliche Maschinerie hinter Brands verzichtet. Die Verbraucher zahlen nicht drauf, um das Überleben des Handels zu sichern oder um Testimonials zu vergüten. Bei Beauty Pie gibt es keine Handelsspanne. Man kauft direkt vom Band. Mal kurz überlegt, klingt das alles wirklich sehr verdächtig nach Spotify. Musik für alle. Beauty für alle. I’m in!
Dabei spielt natürlich Transparenz eine immense Rolle. Genauso wie man bei Spotify und Co. weiß, wie viel Geld an Künstler und Plattenformen fließt, weiß man bei Beauty Pie, wie sich die Preise der einzelnen Produkte zusammensetzen. Das wird von Seiten der Firma ganz klar aufgelistet. Bleiben wir doch einmal bei dem vorhin angesprochenen Lippenstift, der laut Beauty Pie mit folgenden Benefits auftrumpft: „Velvety smooth. Pigment rich, Microfine matte Finish“. Regulär kostet er 25$ plus Versandkosten. Für Mitglieder 2,38$ plus Shippingkosten. 2,12$ gehen für das Produkt selbst und die Verpackung drauf, 22 Cent an das Lager und 4 Cent gehen an Forschung und Entwicklung. Alles, was mehr bezahlt werden würde, wäre also reine Handelsspanne. Oder schlichtweg eine Marke, für die man bezahlt. Kann man sich im Grunde aber alles sparen, wenn man mal nachdenkt.
Im Grunde liegt diesem Geschäftsmodell also die gleiche Philosophie zu Grunde, wie seinen Vorreitern auch: Transparenz, schnelle Reaktionsmöglichkeiten auf Trends und Zugänglichkeit für alle. Das Einzige, worauf man verzichten muss, sind fancy Verpackungen. Die kosten nämlich oft mehr als das Produkt selbst (wir halten mal eben inne und denken an die spiegel-goldene YSL-Verpackung). Alles, was Geld kostet, aber nicht in direkter Verbindung zum Produkt steht, wird bei Beauty Pie eliminiert. Wer mitdenkt, dem geht hier schon ein Lichtlein auf: allein dadurch fängt das Marketingrad schon an, sich alleine zu drehen.
Ich resümiere also mal eben: hohe Qualität zum Fabrikpreis für Mitglieder, Ressourcen schonende Verpackungen und Produkte, die nah am Puls der Zeit kreiert werden, da weder eine Marketingabteilung besänftigt noch eine Brand Identity gewahrt werden muss.
Was jetzt fehlt, ist die Masse. Die Masse an Frauen, die alle Vorleistungen refinanziert und das Konzept rentabel macht. Deren Budgets und Wertevorstellungen übereinstimmen mit denen von Beauty Pie. Die neugierig sind. Für mich steht fest: natürlich wird es immer eine Zielgruppe an Mädels geben, die sich eben eine Stück Marke kaufen möchten. Ich zähle mich hier übrigens dazu. Aber wenn Beauty Pie außerhalb von England und den USA auf den Markt kommt, wird es einschlagen und unsere Beauty-Shoppingroutine verändern. Nicht nur, weil allein dieses Jahr noch 360 neue Produkte ins Sortiment wandern und somit alle Bedürfnisse abgedeckt werden, sondern weil jede Frau da draußen ein Stück vom erschwinglichen Beautykuchen haben will. Da bin ich mir sicher.
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Das Konzept hört sich genial an. Ich würde sofort mitmachen (mir aber trotzdem ab und an mal einen Chanel-Lippi gönnen).
Interessante Idee. Mir persönlich wär's am Liebsten, wenn mehrere Labels sowas durchziehen würden!
Worauf ich persönlich schon länger sehnsüchtig warte: dass die Lippenstifte von BITE Beauty endlich, endlich auch in Österreich und Deutschland ohne Bestellen test- und kaufbar sind!
Weil ihr "einen Koffer voller Gratismuster" angesprochen habt: Mir fällt schon seit längerem auch ein anderer "Trend" auf: man bekommt so gut wie keine Tester und Produktproben mehr, und wenn, dann muss man schon inständig darum bitten und den Kauf von mindestens einem hochpreisigen Produkt in Aussicht stellen. Beispiel: ich habe empfindliche, ständig sehr trockene Lippen und kann kaum "normale" Lippenstifte tragen, SuperMoistureExtremeFeuchtigkeitsspendend ist bei mir Grundvoraussetzung. Ich wollte Und Gretel testen, aber da kein "Dealer" in der Stadt und im Bundesland, habe ich mich erdreistet, die Firma zu kontaktieren und nachzufragen, ob es Proben geben würde. Die Mail wurde nicht einmal mehr beantwortet.
Anderes Beispiel: Bei Urban Decay gibt es (in Ö, wo ich wohne) zwar Proben, die werden aber wie das höchstpersönliche Privatvermögen der Beraterinnen gehandhabt: man spricht nicht darüber, zeigt sie umgotteswillen auf keinen Fall her und - schockwerenot - VERSCHENKT sie um Himmels willen doch nicht auch noch! Und in Deutschland (wo diese Praxis noch nicht SO extrem sein dürfte) werden sie beinahe kiloweise (wir sind hier immer noch bei den Testern!) auf Plattformen wie Kleiderkreisel angeboten, aber um fette 5€ das Stück!
Oh ja, wenn BITE BEAUTY endlich nach Deutschland kommen, mache ich persönlich drei Kreuze!
Dein Gefühl mit den Proben kann ich bestätigen, habe ich ähnlich wahrgenommen. Und so etwas wie bei Und Gretel darf in meinen Augen überhaupt nicht passieren. Hallo?! Potenzieller Kunde?! Im Einzelhandel glaube ich, dass es daran liegt, dass Labels wie Verkäuferinnen und natürlich der Handel inzwischen so großen Druck haben Umsätze zu erwirtschaften, dass sie nur noch Proben herausgeben, wenn sie die Chance auf einen Verkauf sehen. Ein Armutszeugnis, ich weiß. Mich würde interessieren: in welchen Läden bzw. bei welchen Brands hast du diese Erfahrungen gemacht?
Bei mehreren großen und kleinen Douglas-Filialen war es ganz schlimm, aber dort bekomme ich inzwischen nicht einmal noch die leeren Testerflakons für meine Sammlung.
Ganz anders ist Müller, zumindest im Naturkosmetikbereich bekommt man sogar überraschend viele Proben für Pflege, weil es da oft ohne auch gar nicht geht!
Bei Marken habe ich Urban Decay ganz besonders in Erinnerung. Sogar von sauteuren Chanel-Cremen bekommt man noch eher Abfüllungen als von UD Proben!
...jetzt noch ohne Tierversuche (braucht kein Mensch mehr!) und der Kundinnenzähler geht wieder um eins hoch *katsching*