Manchmal knallen einfach alle Synapsen durch. Die Sicherung fliegt raus. Hirnbrand. Ich kenne keinen lateinischen Terminus, der diesem Phänomen einen Namen gibt, aber ich denke, ihr wisst, was ich versuche zu beschreiben. Plötzlich steht deine beste Freundin, die du bis dato mit den Attributen ‚trägt immer eine Wärmflasche mit sich herum, Korkenzieherlocken, Septum und blond – so blond, dass es weh tut -‚ abgespeichert hast, mit dunkelbraunem Haupthaar vor dir. Zack. Einfach so. Ohne dich vorher um Erlaubnis gebeten zu haben. Oder um deine Meinung. Und dann turnt sie wippend, sich drehend, breit grinsend durch die Bude, während sich dein Hirn in Schockstarre auf den Rücken geworfen, alle Gliedmaßen von sich gestreckt hat und in eine Papiertüte atmet. Der Nasenschmuck verschwand bereits vor Wochen. Auch hier gab es keine Warnhinweise, keine Andeutungen. Und so habe ich es schlicht und einfach erst mal drei Tage nicht bemerkt.
Diese Tatsache gibt nicht nur Auskunft über meine offensichtlich beschämenden Qualitäten als beste Freundin, sondern war möglicherweise auch ein Zeichen. Der Komet, der verheißen sollte, etwas Großes wäre im Anmarsch. Doch es begab sich zu einer Zeit, zu der sich die königliche Beraterin der Prinzessin des Münzviertels in einem Zustand der geistigen Umnachtung befand.
Aus diesem unsanft erwacht, fragen sich nun mein Hirn und ich, ob wir gut finden sollen was wir sehen oder nicht.
Sämtliche Klischees, der unter Liebeskummer leidenden Verlassenen, über Bord geworfen, ist diese Radikalveränderung zu einem verdächtigen Zeitpunkt beschlossen und besiegelt worden. Zwischen Uniabschluss und der ersten Festanstellung, zwischen Hamburg und Berlin, zwischen früher oder später. An irgendeinem Punkt habe auch ich mit einem Kahlschlag spekuliert. Wochenlang haben der Buzzcut und ich miteinander geflirtet. Ich finde diesen Nicht-Haarstyle arsch-sexy und in Anbetracht meines voranschreitenden Haarausfalls dachte ich:
„Jetzt kannste alle Register ziehen, Thiele.“
Ganz oder gar nicht – ich habe mich dann doch für Letzteres entschieden. Vielleicht habe ich meine Risikobereitschaft verloren. Spontanentscheidungen sind normalerweise meine Spezialität, eindrucksvoll nachschaubar unter meiner linken Brust. Dort ist seit meines Australienaufenthalts 2009 ein Schmetterling zu finden. Vielleicht war aber auch der Wahnsinn noch nicht groß genug. Das prominenteste Beispiel hierfür ist natürlich Britney, die sich 2007 in L.A. vor laufender Kamera die Haare abrasierte. Das wofür man sie heute in Berlin und London feiern würde, war vor zehn Jahren der größte Skandal seit Jennifers und Brads Trennung. Jeder Hobbypsychologe und Bunte-Leser wusste, was hinter diesem offensichtlichen Akt der Verzweiflung stecken musste: Sie hatte den Verstand verloren. War verrückt. Dass es sich dabei eigentlich um einen Befreiungsschlag handelte, um einen unumgänglichen Ablösungsprozess stand nicht in den Schlagzeilen – weil, hallo? Die Alte hatte keine Haare mehr! Ich erkannte schon damals in der Sängerin eine verwandte Seele und kann ihre Aktion heute mehr denn je nachvollziehen.
Britney ist Queen, so oder so.
Den Vogel abgeschossen hat allerdings eine Bekannte meiner besten Freundin. Die hat sich aus dem Internet eine Tätowiermaschine bestellt. Nach einem Probedurchlauf auf der mitgelieferten Übungshaut hat sie sich kurzerhand ein Gynkoblatt auf den Oberschenkel gestochen. Tellergroß. Kopfüber. Ihr Fazit ist, dass sie recht zufrieden mit dem Ergebnis ist, dafür, dass es ihr erstes Mal war. Ich hege große Bewunderung für diese coole Attitude und denke, dass es nicht tief genug gestochen ist und daher bald verblassen wird.
Das Leben sollte Spuren hinterlassen. Ob diese permanent sind oder nur temporär, ist dabei egal. Seiner Umwelt optisch mitzuteilen, dass sich etwas verändern wird, ist ein Zeichen dafür, dass man bereit ist und sich voll und ganz auf eine neue Situation einlassen kann. Es ist eine äußerliche Veränderung losgelöst von Trends, Trennungsschmerz und sexistischen Klischees. Sie ist Teil einer ganz persönlichen Veränderung und in Zeiten des Female Shifts eine optische Parole, dass unser Körper uns gehört und wir damit tun können, was wir wollen.