„95% der Verwenderinnen würden dieses Produkt ihrer besten Freundin empfehlen“ – „Nach nur einer Anwendung sichtbar weniger Falten“ – „Mit nur einem Schwung die Optik 1000 falscher Wimpern“. Wer glaubt eigentlich all die albernen Produktversprechen, die uns in Werbeanzeigen gemacht werden? Ist es nicht mal Zeit, auch hier umzudenken und ehrlich zu werben? Meine liebe Kollegin Karo von FrolleinHerr und ich haben mal wieder (blind) unsere Meinungen dazu abgetippt und in unserem ‚Powder Room Talk‘ für Euch festgehalten. Ich mache dann mal den Anfang.
Swantje sagt:
Ich zitiere mal eben: ‚Die Wondercreme (Name geändert) aus der Pflegeserie von Beautywonder (Name geändert) reduziert Falten und Linien, schenkt müder Haut mehr Energie und ein strahlendes Erscheinungsbild. Haselnuss-Extrakt, Vitamin C, Lipodermol und ein SPF 15 versorgen und schützen die Haut vor vorzeitiger Hautalterung und sonnenbedingten Hautschäden. Die Wondercreme Pflege aus der Pflegeserie von Beautywonder erfrischt die Haut und lässt sie um Jahre jünger erscheinen.‘ Dieser Werbesatz ist nur einer der wenigen, die mir bei meiner täglichen Arbeit in Pressemappen, bei Produktbeschreibungen auf Websites und auch auf Anzeigen von neuen Beautylancierungen begegnen. Und wirklich, jedes Mal aufs Neue denke ich mir: warum?
Warum werben Firmen mit derartigen Versprechen, die dann halt doch nie wahr werden?!
Eins ist mir dabei natürlich klar: ohne Effizienzversprechen keine Käufer. Das ist in allen Branchen so: bei Diätprogrammen, bei Bausparverträgen oder auch in der Automobilindustrie. Wie unfassbar grandios gerade Letztere damit auf die Schnauze geflogen ist, kann man anhand des Dieselskandals eigentlich haargenau überall nachlesen. Und ähnlich ist es auch oft mit online Produktbewertungen von Beautyprodukten, bei denen sich Käufer und Käuferinnen maßlos über die High Performance Ankündigungen der jeweiligen Marke beschweren – die, das müssen wir hier nicht diskutieren – natürlich nie wahr werden. Die maßlose Enttäuschung über die Power von Beautyprodukten kann ich aber nicht nur bei Douglas & co. nachlesen, sondern die bekomme ich auch wöchentlich per Instagram Direct Messages von meinen Lesern und Leserinnen kredenzt. Es ist inzwischen wirklich Routine geworden, dass ich Nachrichten erhalte, aus denen glasklar hervorgeht, wie groß die Enttäuschung über dieses oder jenes Produkt ist. Meist frage ich dann nach der Kaufmotivation und bekomme dann doch immer wieder die gleiche Antwort:
„Die Werbeanzeige in Magazin XY oder auf Instagram haben mit unfassbar hohen Erfolgschancen geworben und mich so zum spontanen Direktkauf verführt.“
So läuft das heute eben. Leider. Aber ich komme nicht darum, mich eine Sache zu fragen: Wir leben doch in Zeiten einer neuen, bewussten Natürlichkeit. In den letzten Jahren ist in Sachen Inhaltsstoffe, Nachhaltigkeit und Ästhetik doch wirklich ein spürbarer Ruck durch die Beautywelt gegangen. Die Masse will bewusster und reduzierter konsumieren, weiß inzwischen ganz klar, was in Produkten nicht stecken darf, und gerade meine Generation springt doch auch auf Kampagnen, in denen echte Frauen (siehe Dove, Glossier oder zuletzt Pantene) gezeigt werden, deutlich besser an. Warum werden uns dann eigentlich immer noch perfekt retuschierte Gesichter gezeigt, die keine Falte, 1000 Wimpern und Haare aus Seide haben? I don’t get it! Ehrlich.
Das Schlimmste ist in meinen Augen, dass die Abnehmer bewusst in die Irre geführt werden. Jeder, der sich nur ein Mü für Kosmetik interessiert und zum Beispiel bewusst ein Mizellenwasser kauft – was ja durchaus ein gewisses Know-How voraussetzt – der muss 1 und 1 zusammenzählen können und wird verstehen, dass die Frau aus der Werbeanzeige in echt nicht so aussehen kann. Niemand ist mit 55 Jahren Falten frei, das ist doch klar. Und keine Frau bekommt durchs Wimperntuschen auf einmal ‚1 Million Lashes‘. Oder täusche ich mich hier?
Manchmal frage ich mich, ob ich durch meinen Job, der natürlich auch gewisse Skills in Photoshop & Co. voraussetzt, einen Röntgenblick für Werbeanzeigen entwickelt habe. Sieht die Mehrheit die Retusche schon gar nicht mehr?
Fest steht: Pro Monat werden in Deutschland im Schnitt 1,6 Mrd. Euro in Kosmetikwerbung investiert (Quelle). Im Monat! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 1,6 Milliarden Euro für Werbeanzeigen, in denen uns Konsumenten weibliche wie männliche Models mit ultraglatter Haut, vollen Haarprachten und faltenfreien Gesichtern entgegenlächeln und uns Versprechen gemacht werden, die schlichtweg nicht wahr werden können. Wieso ist das so? Aus welchem Grund gibt es keine Firma da draußen, die in ihren Produktversprechen realistische Erfolgschancen integriert und echte Gesichter mit wahren Quoten zeigt? Warum steht da nicht: 25% der Frauen, die unser Produkt getestet haben, bestätigen die Wirkung? Reicht uns das nicht?
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich: die breite Masse ist doch noch nicht bereit. Instagram mit all seinen retuschierten Gesichtern und Filtern wird hier mit Sicherheit seinen Teil dazu beigetragen haben, dass wir noch nicht ready sind für die ungeschönte Wahrheit. Das ergeben mit Sicherheit auch die Marktforschungsergebnisse, die die großen Beautyplayer zur Kreation ihrer Anzeigen heranziehen. Die Mehrheit wird ‚getürkte‘ Zahlen wollen, sonst würden die Beautymarken dieser Welt längst umschwenken und echtere Bilder produzieren, die uns in Magazinen entgegen lächeln. Es wird wohl noch dauern, bis wir auch hier mehr Transparenz fordern oder einer der großen Konzerne auf die Schnauze fällt. Bis es soweit ist, steht für mich fest: ich blättere weiterhin weiter, wenn ich Augen mit 1 Million Lashes, Frauen Mitte 50 ohne Falten und Weiterempfehlungsraten von 92% sehe.
Denn: Beautyprodukte können mit Sicherheit einiges und auch viele Probleme optimieren, aber eben immer noch keine Wunder vollbringen.
Karo sagt:
Mein persönlicher Award für das unrealistischste Produktversprechen geht an die Kategorie Mattierende Puder. Denn: Keines – und ich meine wirklich KEINES, schafft es meine Talgproduktion länger als ein bis zwei Stunden in Schach zu halten. Kein günstiges, kein teueres, kein gehyptes oder unbekanntes Produkt kann es mit meinen Poren wirklich aufnehmen. Das habe ich schon vor Jahren erkannt und meine Erwartungen dementsprechend heruntergeschraubt. Meine jetzigen Ansprüche sind deshalb sehr viel realistischer geworden und könnten mit „kurzzeitig mattierend“und „nicht bröckelnd“ beschrieben werden. Diese Versprechen allerdings werden wir wohl nicht so schnell auf einem Werbeplakat finden.
Von Luxus bis Drogerie wird mir als Konsumentin eingetrichtert, dass es lediglich das richtige Produkt braucht, um mein Sebum zu besiegen!
Dann lächelt mir vom Kampagnenmotiv auch noch ein Model ohne Poren entgegen (kleine Weisheit am Rande: Ich lebe nach einem einfachen Prinzip – vertraue niemals einer Frau ohne Poren. Ob auf Plakaten oder im echten Leben: Wenn eine Frau keine sichtbaren Poren hat, stimmt etwas gewaltig nicht mit ihr) und schon bin ich der festen Überzeugung, dass mein unkontrollierbarer Hautglanz keine physiologisch erklärbare Funktion zum Schutz meiner Haut ist, sondern ein Makel, den ich ganz einfach mit dem richtigen Produkt in den Griff bekommen kann.
BULLSHIT! By the way – aber ich denke, das werdet Ihr schon selbst herausgefunden haben.
Platz zwei geht übrigens an Mascaras, auf die ich seit meinen Fake-Lashes zum Glück komplett verzichten kann. Trotzdem entlocken mir die TV-Spots, in denen ein Victoria’s-Secret-Model mit OFFENSICHTLICH angeklebten und im Nachhinein zusätzlich retuschierten Wimpern für den perfekten Augenaufschlag wirbt, jedes Mal ein Schmunzeln. Wenn dann noch hochtechnische Fantasieworte eingeworfen werden wie „Fibre-X-Technologie“ oder „glastomatische Polymere“ ist es bei mir eh schon vorbei. Stellt sich also die Frage:
Wieso zur Hölle wollen uns alle verarschen?
Die Antwort ist in meinen Augen recht einfach: Weil wir uns verarschen lassen wollen! Zumindest ein kleines bisschen. Jetzt mal ehrlich: Würdet Ihr ein Produkt kaufen, auf dem steht: „Hilft eventuell gegen Pickel. Höchstwahrscheinlich aber nicht“oder „eigentlich hilft bei Spliss nur noch der Gang zum Friseur, aber wenn du unbedingt etwas benutzen möchtest, dann kauf dieses Produkt“. Eher nicht, oder?
Beauty (und damit meine ich Haut- und Haarpflege, Kosmetik und Nahrungsergänzug) ist eine unfassbar persönliche und emotionale Sache. Das merke ich im Austausch mit Euch immer und immer wieder. Vom Blogger bis zur Bürokauffrau – wir alle scheren uns darum wie wir aussehen. Und das ob wir es zugeben oder nicht. Wir mäkeln an uns herum, finden vermeintliche Fehler oder Unzulänglichkeiten und möchten diese nicht einfach so hinnehmen. Deshalb kaufen wir Beautyprodukte, machen uns über Inhaltsstoffe schlau und lesen Produkt-Reviews. Und deshalb wollen wir glauben, was uns auf der Verpackung versprochen wird.
Und ja: Es gibt grandiose Beautyprodukte und echte „Wunderhelfer“. Wenn ich das nicht so sehen würde, wäre ich definitiv in der falschen Branche.
Aber: Diese zu finden ist eine sehr individuelle und persönliche Reise. Immer wieder bekomme ich von Euch Fragen zu DEM besten Beautyprodukt und kann immer nur wieder betonen: Meine Haut ist nicht Eure Haut – deshalb müsst Ihr unbedingt selber testen. Ihr werdet niemals erleben, dass ich auf dem Blog so etwas sage wie „Dieses Produkt müsst Ihr Euch kaufen!“Niemals – darauf bekommt Ihr hiermit mein Indianerehrenwort. Einfach weil ich gelernt habe, dass die Versprechen anderer Leute zwar hilfreich und vielleicht wegweisend sein können, die Überprüfung des Versprechens aber immer bei einem selbst liegt. Und genauso verhält es sich auch mit den Werbeversprechen der Beautyindustrie. Lasst Euch von den Worten anderer nicht blenden, macht Euch so gut es geht selbst schlau und bleibt offen für Neues – und vor allem: Bleibt realistisch!
Dann lassen sich im Produktdschungel tatsächlich so einige Schätze auftun. Nur eben in echt und unretuschiert.
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Die Wahrheit ist: wir kaufen nur, weil wir verarscht werden.
So wie offenbar die meisten Frauen glauben, mit Bad Boys dauerhaft glücklich zu werden, trauen sie Normalität keine Wirkung auf sich zu. Irgendwann sind sie ernüchtert und schimpfen auf Mann und Creme, die der eigenen Erwartung nicht gerecht geworden sind, obwohl man so viel investiert hat.
Aus der Modewerbung weiß ich, dass Mode an realistischen Models einfach nicht gekauft wird, aber am sehr schlanken schon, weswegen diese Wirtschaftsunternehmen sich das Gejammer über dünne Models zwar anhören, aber mit denen dennoch die Sachen an die Frau bringen, weil es halt nur so funktioniert. Wenn sich schon in der Mode das Eigenbild oft um 2-3 Größen oder mehr irrt, hält man porenfreie Haut für total in Griffweite. Jeder weiß, dass L‘Oreal Werbebilder extrem retouchiert und als weltweit erfolgreichster Multikonzern dann noch mit angeblich 23 Kundinnen Zufriedenheit (warum nicht mit 10.000?) testet und ich wage zu behaupten, dass gerade das Unrealistische der Phantasy-Faktor ist, der Verkauf erst ankurbelt.
Ehrlichkeit wird nicht belohnt, weil Kundinnen sie nicht wollen und nicht schätzen. Wie Populismus funktioniert, sieht man an Kosmetikunternehmen genauso wie an BoJo in der Downing Street. Dass die Kosmetikunternehmen mit unrealistischen Sachen überhaupt werben dürfen und wir da nicht auf die Barrikaden gehen, sondern sogar nur dann kaufen, sagt mehr über unsere Traumwelt aus als über die viel realistischeren Kosmetikfirmen.
Auch Dove hat viel Sympathie mit der Werbung relativ üblicher Frauenfiguren bekommen, gekauft wurde und wird sie aber über ihren Duft, vorher und nachher. Mir ist nicht aufgefallen, dass das weiter ausgebaut wurde.
Wer sich mal mit Neuromarketing beschäftigt, wird sehen, dass da ganz andere Sachen eine Rolle spielen und die geheimen Wünsche direkt angesprochen werden. Es gibt grob gesagt immer nur 2 von 5 Persönlichkeitstypen, die von der jeweiligen Werbung angesprochen werden, je nach Richtung, aber die kaufen dann auch am meisten. Status- und Abenteuerlustige sind die Adressaten für Kosmetikwerbung, andere sind dafür auch gar nicht empfänglich, kein Radar. Aber diese beiden geben richtig viel Geld aus, weswegen diese Werbung nur für sie gemacht wird. Ich beobachte mit Interesse die neue Umweltbewegung und das Aufkommen der Produkte, die sich an diese Klientel wenden, ein breiterer Markt bietet sich an und so werden deren Schaltstellen angesprochen mit natürlich auch hochkomplexen Formeln, wo eigentlich Einfachheit und Minimalismus in deren Sinne liegen dürften. Da wird dann alles, was nicht enthalten ist, zur Botschaft. Das Gehirn wird das an der Ratio vorbei bewegen und sich als Persönlichkeit gemeint fühlen - und entweder kaufen oder die Werbung gar nicht bemerken. Wird trotzdem ein gutes Geschäft.