Gast-Kolumne: Kontur-Kultur

Contouring, Strobing, Clowning. Noch nie haben Beauty-Trends eine solche Eigendynamik entwickelt, wie die oben genannten. Gesichtsmodellage ist in all ihren Formen und Farben seit mehreren Jahren der Shit. Gegen den Wunsch ein wenig wie Kendall auszusehen, ist nichts einzuwenden. Aber Kim, Khloé und Kylie? Darüber hinaus bedarf es dabei mehr als nur dem gekonnten Platzieren von Puder – ist klar, oder?


Erste Beauty-Insider namenhafter Magazine verkündeten schon im Juni 2015, dass das Kardashian-Konturieren vorbei sei.

Also „out“.
Also nicht mehr „in“.

Diese Botschaft hatte offensichtlich keine Durchschlagkraft. Ich sehe auf Instagram weiterhin die immer gleich geschliffenen Nasen, die immer gleich aufgeblasenen Schmollmünder. Gähn! Aber das ist noch nicht die Spitze des Hypes. Nach korrigierten Nasen und Wangen versuchen wir uns nun an Lippen mit Gummipuppencharakter, skinny Nacken, prallen Brüsten und Jeanette Jackson Bauchimplantaten. Der Grundgedanke hinter den eigentlich coolen Beauty-Trends erstickt unter Schichten von Make-up.

Von der Theorie in die Praxis. Tatsächlich fachsimpel ich nicht nur über Kosmetik. Ich lege auch selber Hand an. Als ich eine Freundin für ein Bewerbungsgespräch schminken sollte, waren ihre Anweisungen eindeutig: „Ich möchte ein dünnes Gesicht. Und die Nase soll auch weg.“ Klar, ich bringe nicht nur Pinsel, sondern auch Hammer und Meißel mit. Das Argument, dass ich mit Make-up ihre Physiognomie nicht ändern könnte, zog nicht.   Nicht einmal der Exorzismus mit meiner Version von Christina Aguileras „You are beautiful“ konnte ihr das Bild von der Hälfte ihrer Nase austreiben. In Zukunft werde ich meine Pinsel mit Weihwasser waschen müssen. Auch eine befreundete Make-up Artistin kriegt Schweißausbrüche sobald Kunden nach einem starken Contouring fragen:

„Bitte zwing mich nicht Dir Striche
ins Gesicht zu malen!“

Wenn ich die orangefarbenen Balken unter den Wangen sehen kann, können es andere auch! Für den Picasso-Look – von Weitem ein Kunstwerk, von Nahem ein wildes Durcheinander – sieht Cher Horowitz schon 1995 in Clueless keine Zukunft. Verzickt! Sie hat einfach immer Recht. Die geliebte Schminktechnik, die ursprünglich aus dem Theater kommt, funktioniert im Tageslicht nur bedingt. Skulpturale Konturen, die dramatische Schatten werfen und einen expressiveren Gesichtsausdruck kreieren sollen, leuchten ein. Im wahren Leben tut Over-Contouring niemandem gut. Lautet dein Name nicht Mephisto, lass die Finger davon! Hier ein kleiner Crash-Kurs in Ästhetik: Ein pralles Gesicht assoziiert der Mensch automatisch mit Jugend und Gesundheit (das gilt nicht für die oben bereits erwähnten Schlauchbootlippen). Übertriebenes Schattieren hingegen, lässt uns krank aussehen und optisch altern. (Eine imaginäre Pause, um diese Schockbotschaft sacken zu lassen.)

Video-Tutorials gaukeln uns „flawless faces“ vor. Unschöne Nebenerscheinungen, wie zugespachtelte Poren, Unebenheiten, die von Puder-Highlighter ins falsche Licht gesetzt werden und Foundation-Ablagerungen in der Nasolabialfalte, werden jedoch von der Kamera verschluckt. Bei dem Gedanken daran bekommt meine Haut Schnappatmung. Es herrscht eine totale Verblendung, auch bei mir. Denn trotz meiner Bedenken für den Schicht-Look, empfinde ich große Bewunderungen für die Mädels, die aus einem Stick-Foundation-Mosaik ein Gesicht gestalten. Spaßeshalber habe ich das auch mal probiert.

Das Ergebnis erinnerte an ein Muffin-Topping.

Geschmacksrichtung Karamell.

Wo nichts ist, ist eben nichts: Mein Gesicht ist für ein gewissenhaftes Contouring zu schmal. Wangen und Brüste kann ich mir auch mit aufgemalten Schatten nicht zaubern. Das hält auch mich nicht vom dem ein oder anderen dilettantischen Versuch ab. Meine Gedanken und Bedenken zu diesem Thema sind natürlich nicht in Stein gemeißelt. Meine Meinung soll keineswegs als Beauty-Evangelium verstanden werden. Alles was ich eigentlich loswerden will, ist: Don’t drink and drive. Contouring kann süchtig machen.

Credit: Sarah Thiele, Screenshot Youtube Bella Delune, The Original Copy