LOVETALK: ‚Mit wie vielen Leuten hattest du schon Sex?‘

Wenn es eine Sache gibt, die ich überhaupt nicht kann, dann ist es rechnen. Wobei sich logisches Denken auch nicht in meinen Stärkenkatalog einreiht. Das war das Ergebnis eines Eignungstests, den meine damaligen Schulkameraden und ich als Teil einer fröhlichen Exkursion zum Celler Arbeitsamt, sicherlich einem der tristesten Orte der Welt, absolvieren mussten. So wurde mir in der neunten Klasse mitgeteilt, dass ich niemals Steuerberaterin, Versicherungsberatein oder Bankkauffrau werden könnte. Auch die Jahre, die seither vergangen sind, haben an meinem Zugang zu Zahlen nichts ändern können, wie es manchmal mit dem Geschmackssinn passiert. Mittlerweile mag ich zum Beispiel sehr gerne Rosenkohl. Früher hätte mich meine Mutter mit dem Wintergemüse über die Landesgrenze jagen können. Was ich bis zum heutigen Tag hingegen gar nicht leiden kann, ist danach gefragt zu werden mit wie vielen Männern ich schon geschlafen habe und mit wie vielen Typen ich davon beim ersten Date in die Laken gehüpft bin.

© instagram.com/nastygal

Nicht nur fehlt mir hierfür laut der Bundesagentur für Arbeit das nötige Verständnis für Mengenangaben und den Dreisatz – wobei es einen tollen online Prozentrechner gibt – nein, auch mein ausgeprägtes Gespür für Anstand signalisiert mir, dass diese indiskrete Erkundung meines Intimlebens nur eines zur Antwort haben kann: ein aufrichtig gemeintes sowie höchst anständiges ‚Fuck you‘. Das, was mir im Logikzentrum fehlt, so habe ich als 15-Jährige gelernt, gleiche ich nämlich mit sozialer Intelligenz aus. Die Konsequenz hieraus war damals eine Empfehlung für den Pflegesektor, was gar nicht so weit hergeholt ist, wenn ich genauer darüber nachdenke. Denn heute möchte ich mich als zertifizierter Menschenfreund mit Helfersyndrom denjenigen annehmen, denen auf zwischenmenschlicher Ebene ordentlich was fehlt und ihnen erklären, weshalb Zahlen nicht zählen – wenn es um Sex geht.

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Die Summe der Sexualpartner, das Alter, in dem eine Frau ihre ‚Unschuld‘ verloren hat und die Quote der ONS (fyi: das ist Tinderjargon für One Night Stands) macht uns nicht zu schlechteren Menschen. Noch machen diese Ziffern uns zu besseren. Sie sind völlig unerheblich. Dennoch wird immer wieder nach ihnen gefragt. Von Menschen, die mit ihrer Neugier ein klares Ziel verfolgen. Sie wollen ihr zumeist weibliches Gegenüber einordnen: die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen. Wer in welches Gefäß sortiert wird, hängt von der Antwort, der Höhe der genannten Zahl sowie der Intention des Fragenden ab. In der Regel geht diese Jeopardy-Runde jedoch zum Nachteil der Teilnehmer aus. Ich persönlich wurde schon mehrfach mit diesen Fragen konfrontiert. Jüngst wieder. Ich habe mir vorbehalten nicht zu antworten. Stattdessen habe ich eine Rolle Pergament herausgeholt, mich kurz geräuspert und dann eine richtig abturnende Predigt über sexuelle Selbstbestimmung, die Sexualisierung der Frau sowie die ganze Latte (haha) an Themen gehalten, die mein Gegenüber in diesem Moment sicher als letztes hören wollte. Ein natürlicher Schlaffmacher sozusagen.

Er und sein Penis hätten danach den Kopf am liebsten so weit eingezogen, bis sie sich gänzlich in Luft aufgelöst hätten.

Gehen wir aber zum Spaß davon aus, ich hätte geantwortet. Beispielsweise mit der Zahl drei. Was würde das über mich aussagen? Dass ich frigide bin? Keinen Bock auf Sex habe und den Gin Tonic nicht wert? Und was wäre passiert, hätte ich behauptet mit 50 Männern geschlafen zu haben? Außer, dass ich offensichtlich einen langen Atem habe? Ich will nicht das Slut-Shaming Fass aufmachen, aber diese Nummer wäre bestimmt auch nicht recht gewesen. Vor kurzem habe ich eine Unterhaltung belauscht. Ein Gespräch unter Brüdern. Beide Männer waren circa um die 30 Jahre alt. Einer kam gerade aus dem Mykonos-Urlaub. Woher auch sonst. Dort hatte er 14 Tage mit seinen Kumpels seinen Geburtstag gefeiert. Man gönnt sich ja sonst nichts. In dieser illustren Runde kamen, laut Erzählung, auf zehn Männer drei Frauen. Wir könnten jetzt davon ausgehen, dass alle neben dem obligatorischen ‚Champagnerspritzen und Koksen‘ eine gute Zeit hatten. Es ist schließlich ihr Recht, jeder darf seine Feste feiern, wie sie fallen. Wären da nicht die sehr plastischen Schilderungen des einen Bruders gewesen sowie seine Einschätzung, dass die besagten drei Frauen, die zudem Freundinnen sind, wenn sie so weiter machen würden, niemals einen Ehemann finden würden. Ah! Es ist also okay, dass sich zehn Dudes drei Frauen teilen. Aber, dass sich drei Frauen zehn Dudes teilen, das ist ekelig und verstößt gegen das Etikett.

Ich weiß, dass ich schlecht im Rechnen bin, aber sind es am Ende in dieser limitierten Gruppe nicht immer zwei Teilnehmer gewesen, die den geschlechtlichen Akt vollzogen haben?

Jeweils ein Mann und eine Frau? Dennoch haben die Brüder in ihrer Selbstgefälligkeit den Fokus auf die Frau gelegt. Sie, auf der anderen Seite, gehen als superpotente, strahlende Helden mit Superständerkräften aus der Geschichte. Darauf doch gleich nochmal ein Gläschen Schampus, hm?

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Zu wenig ist also schlecht, zu viel ist auch schlecht. Was wäre denn die richtige Anzahl? Und wer bestimmt die Idealvorstellung der Anzahl der Sexualpartner, die ich mit 26 Jahren gehabt haben sollte, damit mein Name nicht aus der Tombola genommen wird und ich mich weiterhin als potenzielle Hochzeitskandidatin qualifizieren kann, danach aber gleichzeitig meinem Gatten eine gute Frau sein und meinen ehelichen Pflichten nachgehen kann? Diese Vorstellung klingt nicht nur antiquiert, sie ist es auch. Sie spiegelt eine merkwürdige am Leben erhaltene Prüderie wieder, die mit der Übersexualisierung unserer Umwelt koexistiert. In diesem Spannungsfeld liegt der Ursprung dieser Indiskretionen, der Missachtung der Privatsphäre anderer Menschen sowie die selbstverständliche Beurteilung des Sexuallebens von Frauen. Wenn ihr also das nächste Mal gefragt werdet, wie viele Sexualpartner ihr hattet, dann gibt es auf diese dümmste aller unangebrachten Fragen nur eine Antwort:

Wieso? Mit wie vielen hast du denn geschlafen?

Ich wette, darauf gibt es nichts weiter als peinliche Stille.