Blass und Neid – vom Sonnenbaden & Solarien

Angst. Panik. Verzweiflung. Das sind die Emotionen, die sich in den letzten Tagen in meinem Hirn festgesetzt haben. Panikattacken weichen Hochgefühlen. Zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend? Kenn ich, kenn ich. Dieser Tage kämpfe ich nämlich mit Farbverlust – der kommt gleich nach Schicksalsschlägen und lebensverändernden Entscheidungen, die ein solches Gefühlschaos ebenfalls auslösen könnten. Wovon ich spreche? Der Hamburger Sommer hat sich Harrys Tarnumhang geliehen und ist unmerkbar an uns vorbeigeschlichen. In den Nachrichten hieß es „Das war’s. Sommer vorbei. Hallo Herbst.“ In diesem Moment richteten alle Einwohner der Perle ihre käsigen Gesichter gen Wolkenzementdecke, die Fäuste resigniert zu einer schwachen Protestgeste geballt. Zu wenig Vitamin D für Widerstand. Die Klagelaute waren kilometerweit zu vernehmen. Bis auf die zwei-drei Treibhaustage, die mich wie eine Herde Büffel transpirieren ließen, habe ich nichts von der zweiten Jahreszeit mitbekommen. Zwischen all den fahlen Erscheinungen in der U-Bahn sticht Sommerbräune sofort heraus. Der Arsch war im Urlaub. Auf den Scheiterhaufen mit ihm. Diese Energie. Diese Lebensfreude. Ich dachte, ich werde das nie wieder spüren, bis ich am vergangenen Wochenende in München alten Freunden einen Besuch abstattete.

775 km und 12 Grad trennen meine Lieblingsstädte voneinander. Ausgehungert liege ich stundenlang in der Sonne, dermaßen am Limit, dass ich mich lediglich sporadisch mit Sonnenöl einschmiere. Samstagabend erkenne ich mich nicht wieder, fühle mich wie Marijke Amados Zauberkugel entstiegen: „Naaa wasch habe wir da für ein strahlende jung Dame, haaaa?“ Die Augenringe haben sich vom Acker gemacht, Rötungen sind verschwunden. Ich bin euphorisiert, habe das Gefühl alles schaffen zu können. Bis Montagmorgen. Jetzt werde ich in der U-Bahn angestarrt. Kollegen sagen mir zwar, ich hätte Farbe bekommen, ich erwische mich dennoch immer wieder dabei, wie ich vor dem Spiegel klebe und jeden Zentimeter meiner Haut scanne. Ich will mehr, werde aber stündlich blasser. Der Verfall lässt sich nicht aufhalten. In meinem Wahn stolperte ich am Mittwoch in den Bronzer. Soll ich euch mal einen Witz erzählen?

Was ist der Unterschied zwischen Gesicht und Hals? An diesem Vormittag drei Nuancen!

Der unbedingte Wunsch lebendig und nicht wie ein Statist der Serie The Walking Dead auszusehen, treibt mich schließlich zum Äußersten. Vergebt mir Girls, denn ich habe die schlimmste Beauty-Sünde begangen. Ich war unter dem Solarium. Sonnenbänke sind ein absolutes Tabu. Ihnen haftet ein ähnliches Image an, wie Eltern, die mit ’ner Kippe den Kinderwagen schieben. Selbst die immer gut gelaunte Marijke könnte da nur verständnislos den Kopf schütteln: „Wiiieso hass du das gemach du bose Mädchn?“ Weil in Farbe alles viel schöner ist, darum. Schon nach sechs Minuten habe ich meine Entscheidung bereut. Als Laie war mir nicht bewusst, dass ich den Gesichtsbräuner regulieren kann, muss, sollte. Das hat mir Beate, die Lederfrau mit der Raucherstimme nicht erklärt, obwohl ich ausdrücklich nach einer Einweisung für völlig Fachfremde verlangt hatte. (Un)glücklicherweise hatte das Gerät einen Systemfehler und schaltete sich kurz nach Minute sieben – der Hälfte der Zeit – ab.

Das passte sich gut, meine Gesichtshaut war bis dahin auch um 50 Prozent geschrumpft.

Ich gelobe hiermit Besserung. Kein Assitoaster mehr. Dafür Bronzer in vernünftiger Dosierung. Selbstbräuner ist eine tolle Erfindung, allerdings nicht für meine Knie, Ellenbogen und den Rest der Oberfläche. Einmal habe ich ein Tanningspray für das Gesicht benutzt. Danach erblühte meine Periorale Dermatitis in den schönsten Rottönen. Für die Übergangsphase stelle ich mich einfach länger vor den Kühlschrank und suche mir eine Ablenkung. Ich verliere in letzter Zeit außergewöhnlich viele Haare. Perfekt. Problem gelöst. Es geht doch nichts über ein gutes tagfüllendes Pseudoproblem, oder?